Mitten unter uns
Diese Installation im Kirchenraum zeigt das Ausmaß sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft. Die Silhouetten, die in den Kirchenbänken verteilt sind, zeigen die statistische Anzahl von Betroffenen in einer gefüllten Kirche. Sie symbolisieren die vielen Menschen, die dieses Leid erfahren haben und mitten unter uns oft unsichtbar bleiben.
Im Jahr 2023 wurden laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 18.497 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Zudem wurden 20.500 Erwachsene zwischen 21 und 59 Jahren Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Hochgerechnet auf die deutsche Bevölkerung ergibt sich: 10,4 % bis 11,9 % der Menschen sind im Lauf ihres Lebens von sexualisierter Gewalt betroffen. Das sind im Durchschnitt von 100 Menschen in einem Raum mindestens 10 betroffene Personen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch in jedem Gottesdienst betroffene Menschen anwesend sind, ist also hoch.
Die Kirche hat eine besondere Verantwortung, da in ihren eigenen Reihen über Jahre hinweg zahlreiche Missbrauchsfälle stattfanden. Viele Betroffene wurden nicht gehört, ihr Leid nicht ernst genommen und viele bleiben bis heute stumm. Darüber hinaus haben viele Menschen in anderen Zusammenhängen sexualisierte Gewalt erlitten. Diese Silhouetten erinnern an alle Betroffenen und fordern uns auf, nicht länger wegzusehen. Die Zitate und Schlagworte von Betroffenen auf den Figuren können uns dabei helfen, deren Realität wahrzunehmen.
Diese Aktion möchte das Bewusstsein der Kirchenbesuchenden für die Betroffenen unter uns schärfen und eine direkte Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen.
Informationen zur Installation im Limburger Dom während des Kreuzfestes:
Die Aktion trägt den Namen mitten unter uns.
Im Zeitraum von Samstag, den 6. September bis zum darauffolgenden Donnerstag, den 11. September werden in die Bankreihen des Doms ca. 35 Holzfiguren in Form von menschlichen Silhouetten gesetzt. Auf den Figuren stehen kurze Zitate von Betroffenen. Die Figuren und die Zitate sollen verdeutlichen, dass sexualisierte Gewalt gesamtgesellschaftlich und in allen Kontexten leider sehr weit verbreitet ist und somit in allen Bereichen Betroffene mitten unter uns sind, die wir nicht unbedingt als solche erkennen. Dafür möchte die Installation sensibilisieren und dazu anregen, sich mit der Thematik und der Lebensrealität betroffener Personen auseinanderzusetzen.
Warum findet die Ausstellung zu dieser Zeit statt?
Überall im Alltag, auch zu feierlichen Anlässen und in Gottesdiensten, sind Betroffene sexualisierter Gewalt mitten unter uns – und werden doch meist übersehen. Deshalb möchten wir die hohe Besucherzahl zum Kreuzfest nutzen, um für die Thematik zu sensibilisieren und auf die hohe Zahl Betroffener in unserem Umfeld aufmerksam zu machen.
Warum findet die Ausstellung im Dom statt?
Aufgrund der in den letzten Jahren öffentlich gewordenen zahlreichen Fälle von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche trägt die Institution eine besondere Verantwortung. Sowohl gegenüber den Betroffenen, als auch zur Aufarbeitung und Prävention. Diese Installation soll ein kleiner Teil davon sein.
Betroffene wurden viele Jahre lang nicht gehört, ihnen wurde nicht geglaubt oder ihr Leid wurde kleingeredet. Es ist sehr wichtig, dass sich dies ändert und die Kirche sich für eine Sensibilisierung und einen Haltungswandel einsetzt. Hier kann sie dann auch gesellschaftlich ein Vorbild sein. Diese Ausstellung soll dazu beitragen, dass den Menschen bewusst wird: Sexualisierte Gewalt geschieht in vielen Kontexten – in Familien, im Sportverein, in Theatergruppen und eben auch in Glaubensgemeinschaften. Und betroffene Menschen sind immer mitten unter uns, daher sind eine sensible Haltung und Sprache wichtig.
Wie sind die Aktion und die Figuren entstanden und woher kommen die Zitate?
Die Idee und den Rahmen der Aktion haben Betroffene des Betroffenenbeirates und Mitarbeitende der Fachstelle gegen Gewalt gemeinsam entwickelt. Nachdem wir 2024 den Frankfurter Dom als besucherstarken Kirchenraum für die Installation gewinnen konnten, haben wir die Figuren gestaltet. Uns war wichtig, dass die Figuren nicht generisch und alle gleich aussehen, sondern individuell und verschieden, um die Vielzahl und Individualität der betroffenen Personen widerzuspiegeln.
Nach der Konzeptphase gingen die Figuren in Produktion. Hergestellt wurden sie in den Caritas-Werkstätten des Caritasverbandes Westerwald-Rhein-Lahn in Montabaur, wo hauptsächlich Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung arbeiten.
Die Zitate stammen zum Teil von den Betroffenen aus unserem Beirat, aber auch von betroffenen Personen aus anderen Kontexten (Familie, Sportverein, Schule usw.)
Auf welchen Zahlen basiert die Aktion?
Die Zahlen, die der Aktion zugrunde liegen, beruhen auf den Polizeilichen Kriminalstatistiken, die jedes Jahr vom Bundeskriminalamt herausgegeben werden. Laut der Statistik für das Jahr 2023 wurden 18.497 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch, außerdem wurden 20.500 Erwachsene zwischen 21 und 59 Jahren Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Für die Hochrechnung haben wir die Zahlen der Kriminalstatistiken auf die deutsche Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Dies ergibt: Etwa 10,4 % bis 11,9 % der Menschen sind oder waren im Laufe ihres Lebens von sexualisierter Gewalt betroffen.
Die Dunkelziffer ist vermutlich noch erheblich höher, weil viele Betroffene die Taten nicht melden. Laut einer Untersuchung durch repräsentative Befragungen gehen Expert*innen davon aus, dass nur ein Bruchteil der realen Fälle bekannt wird, da viele Betroffene aus Scham, Angst oder aufgrund einer bestehenden Beziehung zum Täter schweigen.
Man kann also davon ausgehen: Von 100 Menschen in einem Raum sind oder waren im Durchschnitt ca. 10 Personen von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch in einem Gottesdienst oder einer Gebetsstunde betroffene Menschen anwesend sind, ist also sehr hoch.
Weitere Zahlen, Daten und Fakten zum Thema, insbesondere zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, finden Sie zum Beispiel unter https://beauftragte-missbrauch.de/mediathek/publikationen/zahlen-und-fakten.