Die Rückkehr des Karolingers
Text: Julia Kleine, Bilder: Horst Schmitt
Zwölf Jahre lang weilte der „Karolinger“ fern seiner Heimat Dietkirchen. Seine sterblichen Überreste sind mit modernsten Forschungsmethoden untersucht worden. Am 25. November 2023 wurde das Skelett nun in einer feierlichen Zeremonie in der Michaelskapelle beigesetzt.
Die kirchliche Feier wurde von Dompfarrer Gereon Rehberg und dem ehemaligen Dietkirchener Pfarrer Friedhelm Meudt geleitet. Rund 35 Interessierte beobachteten mit großer Anteilnahme wie Dr. Sandra Sosnowski vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen die Gebeine des Karolingers in einem eigens für ihn angefertigten Sarkophag anordnete. Die Firma Bellroth Schneider Naturstein hatte den Sarkophag bereits 2017 aus einem monolithischen Kalksteinquader hergestellt. Der Bericht der Mannheimer Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie gGmbH über die Ergebnisse der Untersuchung wurde in einer Dokumentenrolle aus Kupferblech mit in den Sarkophag gelegt. So werden die Informationen über die Altersbestimmung mit Radiokohlenstoff (14C) und der C/N-Isotopenanalyse sicher weitergeben, für den Fall, dass unsere Nachfahren den Sarkophag eines Tages öffnen sollten.
Im Anschluss an die Feier zeigten Pfarrer Meudt, Markus Wirth, Ludwig Schmitt und Dr. Gabriel Hefele im Pfarrheim zahlreiche Fotos, die einen spannenden Einblick in die Grabungsarbeiten im Karner unter der Michaelskapelle gaben.
Wer war der Mann aus Dietkirchen?
Das Skelett wurde 2011 vor der Türschwelle des Beinhauses, auch „Karner“ genannt, gefunden. Anthropologen und Mediziner vermuteten seinerzeit aufgrund der besonderen Fundstätte, dass es sich um eine herausragende Persönlichkeit handelt, die mit dem Bau der Lubentiuskirche in enger Verbindung stehen könnte.
Rechtsmedizinisch und archäologisch untersucht wurden die Skelettreste im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen in der Universität Gießen. Diese Untersuchung hat bemerkenswerte Details über das Skelett ergeben.
Frakturen, Fersensporn und Arthrose
Es handelt sich um das Skelett eines Mannes, der im 9. Jahrhundert, also in karolingischer Zeit, lebte und im Alter zwischen 40 und 50 Jahren verstorben ist. Der schlanke Mann war 1,80 Meter groß und wog 72,348 +/- 6,84 Kilogramm. Das entspricht einem Body-Mass-Index (BMI) von 22,3. Die pathologischen Veränderungen der Gebeine verraten, dass der Mann beispielsweise an Zahnstein, Parodontose, Karies und eine Zahnwurzelzyste litt. Außerdem plagte ihn eine chronische Entzündung der Nebenhöhlen. Wirbelsäule, Knie- und Hüftgelenke zeigen degenerative Krankheitserscheinungen, eine Überbelastung der Plantarsehne der Fußsohle verursachte einen Fersensporn. Daneben lassen sich mehrere verheilte Knochenfrakturen am Scheitel- und Hinterkopfbereich, am rechten Oberarm, an drei Rippen und einer Zehe nachweisen. Es lässt sich nicht klären, ob die Knochenbrüche unabhängig voneinander geschahen oder die Folge eines einzigen Ereignisses waren, ebenso wenig, ob es sich um einen Unfall oder ein Gewaltereignis handelte.
Es war einmal vor 1200 Jahren
Die Probenentnahme für die 14C-Datierung erfolgte an einem Rippenfragment. Das gemessene Alter der sieben Gramm schweren Probe beträgt 1205 +/- 18 Jahre BP (before present). Die Umrechnung auf Kalenderjahre präzisiert den Fund damit auf die Jahre 734 bis 885 n.Chr. Wer auch immer der Mann war, seine Lebenszeit fällt in etwa auf die Bauzeit jenes Abschnittes der Kirche, in dem die Gebeine des Heiligen Lubentius aufbewahrt werden sollten. Ein genaues Datum ist nicht bekannt, vermutlich war dies aber vor dem Jahr 840 n. Chr.
Tafelfreuden mit Spanferkel und Gerstenbrei?
Die Kohlenstoff- und Stickstoff-Isotopenanalyse erlaubt Rückschlüsse auf den Speiseplan des Karolingers. Das Kohlenstoff-Isotopenverhältnis ist charakteristisch für Menschen oder Tiere in einer Nahrungskette, an deren Basis Pflanzen mit C3-Photosynthesezyklus standen. Zu diesen Pflanzen gehören die meisten mitteleuropäischen Nahrungspflanzen, inklusive Weizen oder Gerste. Das hohe Stickstoff-Isotopenverhältnis lässt auf einen hohen Anteil von Fleisch von noch gesäugten Jungtieren schließen sowie einen vermehrten Verzehr von Raubfischen.
Wissenschaftler, Pfarrer und die Dietkirchener Bürger, die sich jahrelang intensiv mit dem Karolinger beschäftigten und versuchten, sein Geheimnis zu lüften, sind froh, dass die Skelettreste von ihrem langen Ausflug durch die Forschungslabore heimgekehrt sind. Nun hat der Mann aus dem Mittelalter im Karner unter der Michaelskapelle wirklich seine letzte Ruhestätte gefunden – möglicherweise sogar an seinem einstigen Wirkungsort.