"DIESER IST MEIN AUSERWÄHLTER SOHN, AUF IHN SOLLT IHR HÖREN.“ (Lk 9,35)
Liebe Geschwister im Glauben!
Wer die eigenen Wurzeln kennt, kann wachsen und Herausforderungen gut bestehen. Das gilt im Leben genauso wie im Glauben. Mit diesem Hirtenwort möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf das Bekenntnis des Glaubens lenken, das in seinen Grundzügen vor genau 1.700 Jahren formuliert wurde und wenige Jahrzehnte später die Gestalt annahm, die seitdem als das „Große Glaubensbekenntnis“ dem Leben der Kirche und einzelnen Gläubigen tragfähige Wurzeln für ihren Weg durch die Zeit gibt. Den Text finden Sie im Gotteslob (586.2) in deutscher und lateinischer Sprache. Ursprünglich war das „Nizänische Glaubensbekenntnis“ in Griechisch verfasst, und das hat mit seiner Entstehung zu tun.
RINGEN UM EINHEIT NACH DER KONSTANTINISCHEN WENDE
Konstantin der Große hatte sich als erster römischer Kaiser offen auf die Seite der Christen gestellt und mit der Vereinbarung von Mailand im Jahr 313 n. Chr. die lange Zeit der Christenverfolgungen beendet. Er unterstützte die Kirche mit finanziellen Zuwendungen, hatte sich offensichtlich auch persönlich zum christlichen Glauben bekehrt und stärkte die Rolle der Bischöfe. Gewiss war seine Absicht nicht nur rein religiöser Natur. Politisch wollte er die Einheit des Römischen Reiches durch die Einheit der Kirche stützen.
Diese aber war durch einen eskalierenden Streit gefährdet. Die Auseinandersetzung war um 318 im ägyptischen Alexandrien ausgebrochen und verbreitete sich wie ein Flächenbrand. Der Priester Arius bestritt die Göttlichkeit Jesu Christi in der Absicht, die Einheit und Unvergleichlichkeit Gottes schützen zu wollen, die sowohl ein Erbe des biblischen Gottesglaubens Israels als auch ein Erbe der griechischen Philosophie war. Daher könne der Sohn Gottes nicht ungeschaffen von Ewigkeit her beim Vater existieren, er sei nicht Gott gleich, sondern Gottes erstes und vollkommenes Geschöpf, dessen sich Gott für die Erschaffung der Welt und für seine Beziehungen zu den Menschen bediene. Arius und seine Anhänger waren bibelkundig und philosophisch hoch gebildet und wollten mit ihrer Lehre die christliche Botschaft an die denkerischen Standards ihrer Zeit angleichen. Eine Menschwerdung Gottes erschien ihnen geradezu als eine naive Vorstellung. Viele der damaligen gebildeten Zeitgenossen teilten diese Auffassung. Auch nachdem Arius von seinem Bischof aufgefordert worden war, beim gemeinsamen Fundament des christlichen Glaubens zu bleiben, weitete sich der Konflikt aus. Kaiser Konstantin war alarmiert und ergriff die Initiative, um die Kontroversen durch eine erste gesamtkirchliche Synode beizulegen. So kamen im Frühsommer des Jahres 325 etwa 250 Konzilsteilnehmer unweit der damaligen Kaiserresidenz in Nizäa zusammen, das ist das heutige Iznik in der türkischen Provinz Bursa. Die Synode wurde in Anwesenheit des Kaisers und der Legaten des Bischofs von Rom eröffnet und verurteilte nach intensiver Diskussion die Position des Arius und seiner Anhänger, indem es seine eigene Lehrmeinung in Gestalt eines Glaubensbekenntnisses formulierte.
WAS WIR VON JESUS CHRISTUS GLAUBEN
Den Kern dieses Bekenntnisses bildet die Aussage: Jesus Christus, der Sohn, ist aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, dem Vater wesensgleich. Die letzte Formulierung – „wesensgleich“ – entstammte nicht der Bibel, sondern nahm Sprache und Denken der griechischen Philosophie in Dienst, um die biblische Rede vom Sohn Gottes davor zu bewahren, bloß als bildhafte Aussage miss- verstanden zu werden, die aber keine Wirklichkeit abbildet. Auch wenn der Streit um den sogenannten „Arianismus“ nach den Festlegungen des Konzils von Nizäa noch lange weiterschwelte, so hat sich doch auf Dauer die Entscheidung dieser ersten Synode als maßgebend für den Glauben aller christlichen Konfessionen durchgesetzt und bildet so eine wichtige gemeinsame Grundlage.
WIE NIZÄA CHRISTLICHES LEBEN BIS HEUTE PRÄGT
Es war im Übrigen nicht die einzige verbindliche Festlegung von Nizäa: Auch der Termin des jährlichen Osterfestes wurde damals auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühjahr festgelegt – und an diesem Kalendertag feiern wir Ostern bis heute, in diesem Jahr glücklicherweise gemeinsam mit der orthodoxen Christenheit. Im Jubiläumsjahr des ersten gemeinsamen Konzils ist es deshalb sehr zu begrüßen, neue Initiativen zu unterstützen, die sich für eine gemeinsame Osterfeier aller Christinnen und Christen zum selben Termin starkmachen. Vermutlich steht auch die Festlegung des Weihnachtsfestes auf den 25. Dezember durch Kaiser Konstantin mit dem Konzil von Nizäa in Verbindung und darf als Ausdruck und „äußere Feier“ des Bekenntnisses zu Jesus Christus als dem wahren Gott und wahren Menschen verstanden werden.
ZURÜCK ZU DEN URSPRÜNGEN – ZURÜCK ZU CHRISTUS
Liebe Geschwister im Glauben, sollte es mir gelungen sein, bis hierher Ihre Aufmerksamkeit zu finden, so hoffe ich auch auf Ihr Interesse für die Frage, warum es für uns heute wichtig sein kann, sich mit einem Ereignis zu beschäftigen, das 1.700 Jahre zurückliegt. Gibt es über ein geschichtliches Interesse hinaus auch eine Bedeutsamkeit der damaligen Ereignisse und Entscheidungen für uns Christinnen und Christen heute? Ja, die gibt es allein schon deshalb, weil wir als Gläubige vom Ursprung her leben und weil die Kenntnis der Ursprünge uns hilft, uns selbst besser zu kennen. Ich habe es persönlich immer bereichernd erlebt, mich intensiv mit meinem Glauben zu beschäftigen und die Aussagen über den dreifaltigen Gott, die Kirche, Erlösung und Vergebung, das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, Gebet und Sakramente und die großartige Perspektive des verheißenen ewigen Lebens tiefer zu entdecken. Und wenn es um Jesus Christus geht und das, was wir von ihm glauben, dann geht es schließlich um den zentralen Kern des Christentums.
CHRISTUSGLAUBE IN HEUTIGER ZEIT
Von daher macht es mir Sorgen, wenn bei der 2023 veröffentlichten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung die Zustimmung der Befragten zur Aussage: „Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat“ im Vergleich zu vorherigen Befragungen dramatisch gesunken ist. Unter den katholischen Kirchenmitgliedern bejahen heute 32 Prozent diese Aussage. Man mag dies für eine Auswirkung zunehmender säkularer Entwicklungen insgesamt halten, wonach für immer mehr Menschen die Existenz Gottes mehr oder weniger bedeutungslos geworden ist. Aber mit der Verdunstung einer personalen Vorstellung von Gott geht offenkundig auch eine bedenkliche Ausdünnung zentraler christlicher Glaubensinhalte einher. Jede Generation von Christinnen und Christen, ja jede und jeder Einzelne von uns sollte die Frage beantworten können: Wer war Jesus Christus wirklich? Und wer ist Jesus? Vorbild, Prophet, der Rabbi aus Nazaret, eine prägende Gestalt der Weltgeschichte: Diese und andere Beschreibungen stoßen weit über die Grenzen der Kirche hinaus nach wie vor auf viel Sympathie, auch das belegen Umfragen immer wieder. Aber reicht das aus, um als Mensch ein Leben lang mit dem Glauben an Jesus Christus unterwegs sein zu können und mit dem Glauben an ihn gut zu leben und gut zu sterben?
AUS DEM VATER GEBOREN VOR ALLER ZEIT – FÜR UNS MENSCHEN UND ZU UNSEREM HEIL
Athanasius von Alexandrien gilt als einer der bedeutendsten Bischöfe und Theologen des vierten christlichen Jahrhunderts. Gleich zweimal war er bereit, für das Bekenntnis von Nizäa aus Ägypten bis ans damalige Ende der Welt – nämlich nach Trier – in die Ver- bannung zu gehen. Er blieb bei seinem Glauben und trug für die Entscheidung von Nizäa drei tiefere Begründungen vor: Wäre Christus, der Sohn, nicht Gott, dann hätte er uns Menschen Gott auch nicht offenbaren können, wie er ist. Er wäre bloß einer in der Reihe der Mittlergestalten und Propheten; er könnte etwas von Gott mitteilen, aber nicht Gott selbst. Und wäre nicht Gott selbst Mensch geworden, dann hätte sich durch das Leben, die Verkündigung des Reiches Gottes, das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu nicht wirklich etwas zum Heil aller Menschen erlösend und befreiend verändern können. Wir wären mit unserem Glauben an eine neue und echte innere Freiheit und ein neues Gottesverhältnis, das von Sünde und Schuld geheilt werden konnte – wir wären mit unserem Glauben auf dem Holzweg. Und schließlich argumentiert der Kirchenlehrer Athanasius: Wäre Jesus Christus nur ein Geschöpf und nicht wirklich Gottes Sohn, dann wäre es Götzendienst, zu ihm zu beten, vor ihm die Knie zu beugen und ihn anzubeten. Das persönliche Gespräch mit Jesus und jede Gebetsanrufung im Gottesdienst hätten vielleicht einen reinigenden und motivierenden psychologischen Effekt, darüber hinaus aber könnten sie niemals eine echte Verbindung schaffen zwischen uns Menschen und Gott, dem Ursprung, dem tragenden Grund und dem Ziel unseres Lebens. Ich finde diese gewichtigen Argumente nach wie vor sehr überzeugend.
KULTUR DER SYNODALITÄT UND DAS GEMEINSAME CHRISTLICHE ZEUGNIS
Über die damals so dringliche Frage nach dem Wesen und Ursprung unseres Erlösers hinaus, lohnt sich der Blick auf das Konzil von Nizäa auch aus anderen Gründen: Dieses bedeutende Ereignis zeigt nämlich, dass es im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder Auseinandersetzungen um wesentliche Fragen des Glaubens, um grundlegende sittliche Einstellungen und um die Ausrichtung der Kirche im Blick auf die Gegenwart gegeben hat. Konflikte und Dis- kussionen gehören dazu. Wir können sie auch heute führen und unsere Anfragen stellen im Vertrauen darauf, dass die Kirche schon früh begonnen hat, eine Kultur und Strukturen von Synodalität zu entwickeln, um so miteinander zu ringen, dass der Glaube vertieft und weiterentwickelt werden kann und dabei die Einheit der Kirche gewahrt bleibt oder gar wiedergefunden wird. Die Ergebnisse der Weltsynode 2021 – 2024 zum Thema „Synodalität“, die nun auf allen Ebenen der Weltkirche beherzt umgesetzt werden sollen, stehen mithin in einer langen und guten Tradition. Damals war es vor allem ein Anliegen des römischen Kaisers, dass die Kirche im Bekenntnis zu Jesus Christus nicht auseinanderbricht. Und es ist nicht grundsätzlich anmaßend, wenn eine solche Erwartung an die Kirche herangetragen wird. Die Einheit ist nach wie vor das entscheidende christliche Zeugnis in den Augen vieler Menschen. Jesus selbst hat ja gebetet, „alle sollen eins sein, […] damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Ich erfahre das häufig im Gespräch mit gesell- schaftlichen Gruppen und politischen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträgern. Auch wenn sie nicht persönlich glauben, so setzen sie doch darauf, dass wir Christinnen und Christen uns im Sinne Jesu über alle konfessionellen Grenzen hinweg für Gerechtigkeit in der Welt, für den Zusammenhalt der Menschen und für Orientierung aus grundlegenden Werten und Haltungen einsetzen. Daher ist das ökumenische Bemühen um größere Gemeinsamkeit und sichtbare Einheit heute auch so bedeutsam.
SCHÖNHEIT UND STIMMIGKEIT DES GLAUBENS
Ihnen allen, liebe Geschwister im Glauben, danke ich für alles Engagement für den christlichen Glauben und das kirchliche Leben in unserer Zeit und vor allem für Ihr persönliches Zeugnis. In diesem Jubiläumsjahr möchte ich Sie ermutigen, über Ihren Glauben an Jesus Christus persönlich und gemeinschaftlich nachzudenken. Was bedeutet Ihnen Jesus Christus? Wie gelingt es Ihnen, die Aussagen des Glaubensbekenntnisses mit Leben und Relevanz zu erfüllen? Und wenn Sie beten, wie sprechen Sie mit Jesus? Wenn ich das „Credo“ mitvollziehe, dann empfinde ich dabei nicht nur etwas von der tiefen Stimmigkeit des Glaubens, auch seine Schönheit rührt mich an. Gerade das Große Glaubensbekenntnis ist ja ein einziger Lobpreis auf Gott – und darum wird es zu Recht meistens gesungen, nicht bloß gesprochen; denn unser lebendiger Glaube ist ja selbst die grundlegende Weise unseres Gottesdienstes.
Für Sie und alle, die mit Ihnen verbunden sind, erbitte ich Gottes reichen Segen im Namen des + Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen.
Limburg, zum 2. Fastensonntag 2025
Ihr Bischof